QueerReport: Im Gespräch mit Mieze McCripple

>>> Mieze McCripple (Sie/They) spricht mit uns über ihren Aktivismus als queerfeministische Drag Queen, über Drag als Akt der Sichtbarmachung und ihre Erfahrungen als behinderte Person in der queeren Community.  <<<

Hallo Mieze! Schön, dass du da bist.

Hi! Schön hier zu sein.

Stell dich doch gern mal unseren Leser*innen vor.

Mein Name ist Sunny Schwanbeck, ich bin 26 Jahre alt und seit etwa zehn Jahren schreibe ich, habe Bühnenauftritte und befasse mich vor allem mit gesellschaftskritischen Themen wie Queerfeminismus, Ableismus, Sexismus und verschiedenen Diskriminierungsebenen. Dazu kommen viele Themen des Queerseins dazu – ich bin selbst nichtbinär, pansexuell und polyamor. Seit neuestem traue ich mich, zu sagen, dass ich genderfluid bin und bin auch seit neuestem Teil der Drag-Szene hier in Düsseldorf unter dem Namen Mieze McCripple. Ich trete seit einigen Monaten auf und performe auf der Bühne in Drag meine Texte.

Erzähl uns doch gern, wie du zum Aktivismus gekommen bist.

Social Media hat da sehr viel dazu beigetragen. Ich habe mit 18 die ersten Accounts gefunden, die über feministische Inhalte aufgeklärt haben. Und ich habe relativ schnell gemerkt: Wow, es ist nicht okay, was vielen Menschen und auch mir teilweise passiert. Ich habe mich zum ersten Mal in meinen Erfahrungen validiert gefühlt, es waren Dinge, die vielen anderen Personen auch passiert sind. Dann habe ich mich immer mehr mit den Themen befasst, und das ist dann in meine geschriebenen Texte eingeflossen.

So ist es dann dazu gekommen, dass ihr vermehrt über die Themen geschrieben habe und mein Ziel ist es, Menschen damit zu berühren und zu konfrontieren.

Gibt es durch deine Drag-Persona Unterschiede in deinem Aktivismus im Vergleich zu vorher?

Viele Leute, die das Thumbnail von mir in Drag bei einem Poetry Slam sehen, denken sich wahrscheinlich: Okay, das ist was Neues. Das heißt, wahrscheinlich habe ich dadurch einen Überraschungseffekt, durch den mich mehr Leute sehen und mir zuhören wollen. Ich kann also durch meine Optik mehr Leute erreichen.

Ich hatte dann letztes Jahr auf der Pride-Veranstaltung von Velvet Curtains den Moment, dass ich mich einer Community zugehörig gefühlt habe. Ich war da als Zuschauerin und habe in dem Moment hart angefangen zu heulen, weil ich das erste Mal so wirklich das Gefühl hatte, angekommen zu sein und richtig und willkommen zu sein. Das hatte ich vorher noch nie, und es hat mich darin bestärkt, mehr über den Queerfeminismus aufzuklären, da ich nun Teil einer queeren Community bin. Plötzlich konnte ich neue Lebensrealitäten erfahren und kennenlernen. Es hat auf jeden Fall meinen Blickwinkel geändert: Ich wusste nicht, dass Afabs (Assigned Female at Birth, also in einem weiblich gelesenen Körper geboren) oder trans* Menschen Drag machen konnten. Und das hat bei mir sehr viel positiv erweitert.

Ist Drag für dich ein Akt der Sichtbarmachung?

Definitiv. Ich schätze an Drag sehr, wie facettenreich es ist. So viele Kunstformen sind ein Teil von Drag, und Aktivismus eben auch. Sichtbarkeit zu zeigen durch verschiedene Körper, Identitäten und mehr ist Aktivismus und es ist ein wichtiger Schritt. Aktivistische Performances zu machen, ist wichtig. Gleichzeitig finde ich es auch wichtig, positive Gefühle mit Drag zeigen zu können, zu entertainen. Es muss nicht in eine Richtung gehen und alle Wege in Drag sind gleich wichtig. In der Poetry-Slam-Szene ist diese Diversität nach meinen Erfahrungen nicht mehr vorhanden. Da werden nur noch positive Inhalte vermittelt, es grenzt teilweise fast schon an Stand-Up-Comedy. Ich habe mich in der Szene nicht so gefühlt, als dass ich mit meinen Texten willkommen war. In der Drag-Community habe ich das Gefühl, diesen Platz für meine Kunst zu haben, und dass sie wertgeschätzt wird. Die Leute sind sich dort sicher: Ich komme jetzt hier hin, um fire Lipsyncs zu sehen, um entertained zu werden, aber auch um Aktivismus zu sehen. Und es wird wahrscheinlich auch etwas Politisches dabei sein. Das heißt, es ist den Leuten schon bewusst. Und das führt zu einem komplett anderen Umgang mit der Kunst.

Der politische Teil von Drag ist ja ein inhärenter Teil der Kunstform. Ohne Aktivismus wäre es nie zu Drag gekommen.

Total. Ich habe einen nichtbinären Partni, der oft femme rumläuft, aber halt amab ist. Und allein diese Diversität nach außen zu tragen ist ja schon aktivistisch. Er trägt es nach außen, gleichzeitig kann er dadurch ja auch potenziell Feindlichkeiten davontragen.

In Drag, gerade als Amab, auf der Straße rumzulaufen, ist eine Situation für potenzielle Feindlichkeit. Wenn ich, als afab Person, draußen in Drag rumlaufe, werde ich angestarrt, vor allem wenn man merkt, dass ich einen weiblich markierten Körper habe. Ich glaube, dass die Situation sich aber grundlegend unterscheidet, weil ich in der Situation nicht mit denselben Feindlichkeiten konfrontiert werde, vor allem Homo- und Transfeindlichkeit, wie amab Drag Artists.

Total. Es ist gefährlich. Es gibt ja leider viele Drag-Artists, die Probleme damit haben, sich außerhalb des Clubs zu zeigen. Erzähle doch gerne mehr über deine persönlichen Erfahrungen in Drag.

Ich habe mein Leben lang Diskriminierung und Mobbing erfahren durch meine Körperform und meinen alternativen Kleidungsstil. Und in Drag ist es das, nur nochmal stärker. Und das, wofür ich früher Diskriminierung erfahren habe, wird nun auf der Bühne gefeiert. Plötzlich bekomme ich Komplimente dafür. Das ist total heilend für mein inneres Teenie-Ich. Dazu kommt, dass Leidenschaften, die ich davor schon gerne geführt habe, wie Makeup und co., jetzt voll ausgelebt werden können.

Des Weiteren hatte ich generelle Bedenken bezüglich meiner Auftritte, da sie keine typischen Drag-Performances sind. Ich hatte Angst, mit meinen Texten einen Space zu „belegen“, der mir nicht zusteht. Da bin ich wirklich froh, dass ich nur positives Feedback gehört habe und meine Kunst in dem Rahmen akzeptiert wurde. Ich habe das Feedback bekommen, dass mein Aktivismus absolut richtig in diesem Rahmen platziert ist. Und das freut mich.

Ich hatte lange die Sorge, dass ich durch meine Behinderung und meine Einschränkung im Gehen nicht die Art von Performances hinlegen kann, die ich sonst so von Drag Artists gewohnt bin: High energy, splits, dips und co. Ich finde das super bewundernswert, aber hatte immer Angst genau deswegen abgelehnt zu werden. Aber auch das ist nicht eingetreten und eine wunderbare Erfahrung, dass ich deswegen wertgeschätzt werde.

Ich glaube, dass Mieze mehr in die Richtung Body-Positivity gehen wird. Ich wünsche mir, dass ich mit Mieze wieder in Richtung Wohlfühlen im eigenen Körper gehen kann. Ich hoffe, dass ich mit den Drag-Outfits wieder die Confidence ausstrahlen kann, die ich früher hatte, und damit Body-Positivity repräsentieren kann.

Ist es so, dass der Körper in und out of Drag anders wahrgenommen wird?

Definitiv. Und ich glaube, dass der Körper eines Artists in dem Moment als Kunstobjekt auch wahrgenommen wird. Gerade der Körper und die Outfits sind aktiver Teil von Drag und sie werden als Teil der Performance gelesen. Zudem strahlt man mehr Selbstbewusstsein aus, hat eine Attitude. Und ich glaube, dass Leute selbstbewusste Menschen eher respektieren als Menschen, bei denen sie Unsicherheit sehen.

Als ich den Begriff Dicksein reclaimed habe und mich selbst bewusst so gelabled habe, wurde mir oft entgegnet, wie „mutig“ ich sei. Da dachte ich mir: „Nein. Ich bin einfach ich, und will das nur zeigen“. Und seitdem ich diese Confidence mehr nach außen trage, werde ich weniger oft für mein Aussehen diskriminiert. Die Leute sind dann eingeschüchtert und können nicht einschätzen, ob sie mit ihren diskriminierenden Gedanken im Recht sind, wenn man selbst kein Problem mit sich sieht.

Wie sieht es mit deiner Behinderung aus? Wie spielt sie mit deiner Drag-Persona zusammen?

Es fängt ja schon mit meinem Namen an, den ich bewusst kontrovers gewählt habe. Ich heiße ja Mieze McCripple und hatte schon das Gespräch, dass es Leuten unbequem war, meinen Namen auszusprechen. Auf der einen Seite ist es ja eine Selbstbezeichnung, aber Menschen wollen ja trotzdem nichts Falsches sagen. Aber ich habe mit Absicht diesen Namen gewählt. Zum einen, damit die Leute schon in meinem Namen meine Betroffenheit erkennen, und es zum anderen ein verdammt guter Aufhänger ist für genau solche Gespräche. Das finde ich super wichtig. Ich verstehe die Sorge, aus dem eigenen Privileg heraus darüber zu sprechen, aber das muss aufgebrochen werden, um diesen Diskurs zu öffnen. Wenn nichtbetroffene Menschen keinen Weg in den Diskurs finden, werden sie auch nicht diejenigen sein, die uns unterstützen, wenn wir diese Unterstützung brauchen.

Mir ist in der Community schon oft die absolute Unsichtbarkeit von behinderten Queers aufgefallen. Ich denke das hängt oft damit zusammen, dass behinderten Menschen oft ihre Sexualität abgesprochen wird. Vor allem Menschen im Rollstuhl – da wird oft gesagt: Die können keinen Sex haben, ergo sie haben keine Sexualität, ergo sind sie nicht queer. Dann gibt es den Blick auf behinderte Menschen, dass sie nicht attraktiv sind, dass sie nicht begehrenswert sind, dass sie sowieso keine Beziehungen haben werden. Da wird super viel abgesprochen. Wir werden desexualisiert, als sei das kein Thema unserer Lebensrealität. Das ist ein großer Punkt.

Ein weiterer großer Punkt ist die Accessibility. Bestes Beispiel: Pride Cologne. Bis ich da den Zugang zu einer barrierefreien Toilette bekommen habe – da muss man ja erstmal die zuständige Person finden, da solche Toiletten meist abgeschlossen sind. Bis ich die gefunden habe, bis sie gesehen hat, dass ich diese Toilette überhaupt brauche, da ich im Rollstuhl bin… Das hat ewig gedauert und ich hätte mich in der Zeit auch einpinkeln können. Und es ist sehr oft so, dass in Locations, die queere Events veranstalten, keine barrierefreien Räumlichkeiten gibt.

Für viele sind das nur so ein, zwei Stufen, und man denkt sich: Ja gut, im Zweifel können wir die Person auch hinübertragen, aber mein Rollstuhl ist eine Verlängerung meines Körpers. Und ich will ja auch nicht, dass fremde Menschen einfach so meinen Körper anfassen. Das ist eine super vulnerable Situation. Man kann viel falsch und kaputt machen. Ich habe dann aber auch immer Angst, dann zickig zu wirken. Die Menschen meinen es ja auch nur gut. Aber es ist mein Rollstuhl, und will dann auch autonom sein.

Es gibt ja auch das Thema sichtbar behindert sein und nicht sichtbar behindert sein.  Manchmal laufe ich mit einem Stock, manchmal auch ohne, auch wenn diese Tage auch leider immer weniger werden. Ich habe an solchen Tagen aber Angst, in meinem Leidensdruck nicht ernstgenommen zu werden. Ich fühle mich wohler damit, meine Behinderung nach außen anzuerkennen, wenn ich sichtbar durch meine Hilfsmittel als behindert markiert bin. Gleichzeitig habe ich Angst davor, dass andere behinderte Personen in solchen Momenten sagen, ich sei nicht behindert genug, um diesen Space dann einzunehmen. „Du bist nicht behindert genug, um über uns zu sprechen. Du bist nur teilzeit-behindert“. Da kriegt man eine Art Impostor-Syndrom, obwohl man einen Schwerstbehindertenausweis vorzeigen kann – absolut absurd.

Das sind Erfahrungen, die die Mehrheitsgesellschaft, auch unter queeren Menschen, nicht mitbekommt.

Auf jeden Fall. Generell: Die Mehrheit ist sehr cis, male, gay konnotiert. Jedenfalls sind das die Personen, die die meiste Sichtbarkeit genießen. Sie genießen die meisten queer Spaces, die explizit für sie errichtet sind. Ich will gar nicht abstreiten, dass sie auch der meisten Queerfeindlichkeit ausgesetzt sind. Aber ich war geschockt darüber, dass ich auf der Kölner Pride an keinem einzigen Stand die nichtbinäre Flagge erwerben konnte. Dass sexuelle Vielfalt ihren Platz auf der Pride gefunden hat, ist nicht abzustreiten, aber bei der Gender Identity hörts dann irgendwo nach der Trans*-Flagge auf.

Mir kommts vor, als sei das eine Diskussion zwischen den Generationen. Viele ältere Personen meinen, dass man der Community durch Mikrolabel und Selbstbezeichnungen schadet. Ich sehe das so: Selbstbezeichnungen sind immer valide. Ich verstehe aber auch den Punkt, dass es das schwieriger für Außenstehende macht, das ganze zu verstehen. Es braucht dann einfach mehr Vokabular, mehr Wissen, was angeeignet werden muss.

Das stimmt schon, aber wir sind ja nicht in der Bringschuld, Außenstehenden unsere Lebensrealität einfacher zu machen.

Das ist der große Zwiespalt, gerade als Person im Aktivismus. Der kann ja nur funktionieren, wenn man Außenstehende damit anspricht. Wenn ich einer queeren Bubble erkläre, was trans* sein bedeutet, ist das kein ausreichender Aktivismus – er ist fehlgeleitet. Das heißt: Ich muss raus aus der Bubble. Ich finde, man muss zwischen uninformierten Personen differenzieren, Leuten, die eine Grundfeindlichkeit ausstrahlen und Personen, die uns zwar tolerieren, sich aber nicht weiter damit befassen wollen. Gerade letztere brauchen meiner Meinung nach die Information.

Natürlich wäre die Wunschsituation, dass sie sich vor ihren PC setzen, sich informieren und Betroffenen zuhören. Aber das passiert nicht, weil sie keine Berührungspunkte haben. Dasselbe passiert bei able-bodied Personen, die sich nicht mit Ableismus und Behindertenfeindlichkeit auseinandersetzen, obwohl sie ansonsten sehr aktivistisch sind.

Von daher ist mein Aktivismus schwieriger, wenn man mehr Vokabular erklären muss. Und ja, wir sind diesbezüglich nicht in der Bringschuld. Aber um Unterstützung zu bekommen, muss man eben bringen. Niemand sonst wird es machen.

Wer macht es, wenn es nicht die Betroffenen selbst tun?
Genau so ist es. Andererseits muss man jedoch sagen, dass es Betroffenen viel Energie raubt und es extrem verletzend sein kann, über Erfahrungen mit Diskriminierung zu sprechen. Daher kann ich komplett nachvollziehen, wenn Menschen sagen: Ich mache das nicht, das retraumatisiert. Es ist nicht meine Aufgabe, Menschen aufzuklären.

Wenn man die Zeit und Kraft dazu hat, sollte man es jedoch tun. Aber auf jeden Fall nicht für umsonst. Es ist eine emotionale Arbeit, Aufklärungsarbeit zu leisten, und es ist total in Ordnung, dafür Geld zu verlangen.

Und was ist bei dir geplant?

Ich habe ja das Gefühl, ich bin erst seit einer Minute Drag Artist, und trotzdem bimmelt meine Hotline wie verrückt! [lacht] Ich habe für einen Auftritt nächsten Monat vor, mich an einem Lipsync auszuprobieren. Da gehe ich mal in unbekanntes Terrain. Ich schreibe seit einiger Zeit einen Roman, der auch viele Tabuthemen wie sexuelle Gewalt und co. beinhaltet, Themen, bei denen ich mich um mehr Gehör freuen würde. Generell würde ich mir gern mehr Raum zugestehen. Ob mit meiner Person, mit Drag: Ich freue mich, was da noch in Zukunft kommt.

Danke dir!

Danke euch für das Interview!

>>> Findet Mieze auf Instagram > @mieze_mccripple und @chronicallyxqueer <<<

 

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