Beziehungsweisen – queer gedacht!
von Xenia Ende
In ihrem wegweisenden Buch „Beziehungsweise Revolution“ widmet sich die queerfeministische Autorin Bini Adamczak dem Begriff der Beziehungsweisen. Anhand der historischen Revolutionen von 1918 (russische Revolution) und der 68er Bewegung untersucht sie die Art und Weise, wie sich Menschen zu den Verhältnissen, in denen sie leben und zueinander in Beziehung setzen. Sie fragt nach dem Geschlecht von Revolutionen und erarbeitet ein queerfeministisch inspiriertes Verständnis von Revolution, welches wichtige Ideen für kommende Bewegungen bietet. Dieser Artikel beschäftigt sich allerdings nicht mit Revolutionen, sondern vielmehr mit dem Wort Beziehungsweisen. Ohne die theoretischen Bezüge von Bini Adamczak nachzuzeichnen, geht es hier darum einige Gedanken dazu zu sammeln, welche queeren Perspektiven mit einer Betrachtung von Beziehungsweisen zu gewinnen sind. Ich gehe also hier von einen Alltagsverständnis des Wortes aus und versuche daraus alltagspraktische Anregungen für einen queeren Umgang anzubieten. Die Themen und Bezüge, die ich im Text herstelle, ergeben sich auch aus meiner Biografie als in Deutschland geborene, weiße (trans) Frau – ich hoffe ihr findet sie anregend.
Beziehungsweisen gestalten Beziehungen
Zuerst einmal: Mit Beziehungsweisen sind nicht Beziehungen gemeint! Bei Beziehungsweisen geht um die Art und Weise, wie die Beziehungen sind. Das ist die erste und wichtigste Verschiebung. Während wir bei Beziehungen an die Verbindung von zwei oder mehr Personen oder Gruppen denken, lenkt das Wort Beziehungsweisen den Blick auf genau dieses Beziehungsgeschehen. Die Frage ist nicht: „Wer steht mit wem in Beziehung?“ – als wäre schon klar, was Beziehungen sind und wie sie funktionieren; sondern die Fragen lauten: „Was ist die Art der Beziehung? Was macht die Beziehung? Woher kommt sie und wohin geht sie?“ Durch diese Betrachtung wird auch der Rahmen vergrößert, in dem über Beziehungen gesprochen werden kann. Beziehungsweisen bestehen nicht nur zwischen Gruppen und Personen, sondern auch zwischen Personen und ihren Gedanken, zwischen ihren Wünschen, Zwängen und Fantasien, zwischen Geld und Waren, zwischen mir und meiner Chef*in (die ich bin).
Der Unterschied zwischen Beziehungen und Beziehungsweisen mag ein bisschen wie eine Spitzfindigkeit klingen. 1 könnte sagen: „Ja, ich weiß Beziehungen sind sehr unterschiedlich.“ Mir hat es sehr geholfen diesen Unterschied zu bedenken, da sich für mich als queere Person Beziehungen nicht so einfach und durch Konventionen gestärkt gestalten, wie für Menschen, die nicht-queere Beziehungsformen leben können. Denn für queere Menschen stehen die konventionellen Beziehungsweisen oft nicht zur Verfügung. Die Erfahrung mit dem eigenen Geschlecht, der Zugang zu Sexualität, die Beziehung zu Eltern und anderen Bezugspersonen und auch zu Freund*innen ist nicht mehr so leicht mit den Erwartungen von nicht-queeren Personen in Einklang zu bringen. Trotz positiver Entwicklungen ist für die meisten immer noch die Kleinfamilie mit Kindern der anstrebenswerte Zustand, da er gesellschaftlich anerkannt und vom Staat gefördert wird. Dazu kommt eine konventionelle Vorstellung von Lebensabschnitten und dazugehörigen Erfolgskriterien.
Queer Time & Queer Kinship
Diesen traditionellen Vorstellungen stehen Konzepte von Queer Kinship und Queer Time gegenüber, die ich kurz erläutern will (um dann auch zu den Beziehungsweisen zurückzukehren). Queer Kinship ist auf deutsch am schnellsten mit „queere Verwandtschaft“ übersetzt. Queer Kinship meint, dass wir als queere Menschen unsere Familien selbst finden (müssen) und diese nicht über Blutsverwandschaft bestimmt sind. Unsere queeren Freund*innen können unsere „chosen family“ („Wahlverwandtschaft“) werden.
Queer Time beschäftigt sich mit der Frage, wie Lebenszeit anders verstanden werden muss, wenn Zeit damit z.B. damit verbracht wird das eigene queere Lebenskonzept, das Geschlecht und die Sexualität verstehen lernen zu müssen und dies oft auch in Auseinandersetzung mit bestehenden Institutionen, wie Familie oder Schule. Ich habe mich erst mit Ende 30 öffentlich als trans Frau bewegt und in dieser Zeit etwas wie eine zweite Pubertät erlebt (ja, ich bin fast durch damit). Da fängt das Leben noch einmal neu und ganz woanders an und wenn dann eine Person sagt: „Hey du! Bist ja schon so alt und so,“ dann sag ich, „ja, ne, ich bin ja erst 3 und dein Alters-Klassifikations-System funktioniert für mich nicht. Zudem ist das sowieso Age-Ism. Pffff.“ Und dann guck ich ganz spitz und dreh mich auf dem Absatz um und pfeif‘ in die andere Richtung.
Queer Kinship und Queer Time sind nur zwei Beispiele wie sich Beziehungsweisen mit einer queeren Brille ändern. Für mich kann ich nur sagen, dass dies sehr folgenreiche Veränderungen sind, die mich dazu bringen weiter und tiefer mit mir und anderen ins Gespräch darüber zu gehen und die Beziehungsweisen zu befragen. Und – um es nicht zu vergessen – das Wort queer steht ja auch noch im Raum und Queerness steht mit Festlegungen, klaren Normen und Konventionen geschichtlich nicht in bejahenden Beziehungsweisen. Also noch ein Anlass zum endlosen (Selbst)Gespräch!
Naja, für mich sind queere Wahlverwandtschaften jedenfalls nicht einfach Kopien von Blutsverwandtschaften unter queeren Leuten. Denn – und wenn wir auf die Beziehungsweisen schauen – wird es offenkundig: das stimmt auch einfach nicht. Queere Freund*innenschaften stehen vor anderen Herausforderungen, erleben andere Probleme, haben weniger Rechte und Privilegien und müssen – soweit ich das selbst erlebe – auf die eine oder andere Weise frustriert werden, wenn sie diese Beziehungsweisen unter dem Schema konventioneller Beziehungen verstehen wollen.
Auf zu solidarischen Beziehungsweisen!
Für mich bedeutet Queerness eigene Ansprüche, eigene Kategorien und Ideen zu entwickeln, neue und utopische Entwürfe zu leben, sich anders in Beziehung zu setzen, sich nicht aus Zwang, sondern aus freien Stücken zu assoziieren, voneinander gerne abhängig zu sein und dies zu bedenken und zu bearbeiten – ich gerate ins Schwärmen oder ach, ins traurig sein, denn das ist alles eine viel zu große Aufgabe. Alles neu zu erfinden, selbst zu entwickeln und zu besprechen ist viel mehr Aufwand als auf bereits ausgetretenen Pfaden herumzutapsen. So hat das Wissen um meine Queerness bei mir auch eine große Traurigkeit ausgelöst: eine Traurigkeit über den Verlust von gängigen Möglichkeiten. In kein Schema zu passen, heißt oft nicht unmittelbar verstanden zu werden, sich mehr erklären zu müssen, mehr missverstanden zu werden und nicht zuletzt vom Staat sanktioniert und von strukturellen Herrschaftsweisen gegängelt, bestraft, bedroht oder zumindest herausgefordert zu werden. Der Blick auf Beziehungsweisen hilft mir in dieser misslichen aber zugleich auch vielversprechenden Lage die Beliebigkeiten, Ungereimtheiten und Feindseligkeiten traditioneller Beziehungen zu Tage zu fördern, sodass wir diese verändern oder ergänzen, solidarische Beziehungweisen entwickeln können: Im Zusammenleben, im Widerstand und im Gespräch.
Stay Queer
Xoxo Xenia
Links:
Xenia Ende
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Bini Adamczak – Beziehungsweise Revolution
suhrkamp.de/buch/bini-adamczak-beziehungsweise-revolution-t-9783518127216
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