Hallo Du,
mein Name ist Ben und ich bin non-binary.
Ich schreibe diesen Text über meine geschlechtliche Identität zum einen, um für mich selbst den Fokus zu setzen, nicht nur im Austausch mit anderen Erkenntnis zu gewinnen, und auf der anderen Seite für Dich, um in einen stillen Austausch zu treten.
Dabei will ich mich bewusst nicht an Definitionen geschlechtlicher Identitäten abarbeiten, sondern ganz gezielt aus meinem Leben erzählen und meine Erfahrungen teilen.
Dies ist natürlich ein sehr privates Unterfangen und ich gebe damit sicherlich so viel von mir und meinen Gedanken und Gefühlen preis, wie sie bisher nur eine Handvoll mir sehr vertrauter Menschen in meinem Leben kennen. Aber auch, wenn ich eher selten in queeren Kreisen verkehre, ist die Community doch ein fester Bestandteil meines Lebens geworden und in den letzten Jahren vermehrt ein Ort zur Selbstfindung.
Bevor ich auf 1001plateau und das Trans*formationscafé in Duisburg traf, bezeichnete ich mich nach außen hin generell als queer. Sozusagen eine „Alles- und Nichts-Schublade“. Damit erklärte ich meinem Gegenüber mein Auftreten, meinen femininen Kleidungsstil, das Tragen von Make-up und sicherlich meinen etwas sanfteren, gutmütigen Charakter. Fragen nach sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität wollte ich nie näher beantworten, da ich tatsächlich eine große Abneigung gegen Schubladen hatte und habe. Zur sexuellen Orientierung: ich verliebe mich in Menschen, in deren Charakter und Ausstrahlung. Und zur geschlechtlichen Identität bzw. zu meinem Auftreten habe ich immer gesagt, ich lebe die Ästhetik, die mir gefällt. Wenn es in Gesprächen doch mal ans „Eingemachte“ ging, lief es meist darauf hinaus, dass ich mich in den Rahmen einer Utopie stellte, in der Geschlechterrollenbilder gar nicht mehr von Relevanz sind, in der es keine Feindseligkeiten gibt. Würde ich mich als männlich bezeichnen, wenn alle männlichen Stereotypen aufgehoben sind?
Im letzten Jahr begann ich erstmals ganz bewusst, mich als non-binary zu bezeichnen.
Ok, beginne ich mit dem langen Weg dahin: Um grob einen Anfang zu finden, muss ich wohl in die Anfänge meiner Pubertät zurückgehen. Ich weiß tatsächlich nicht mehr allzu viel aus dieser Zeit, aber eines ist mir definitiv hängengeblieben: Beim Entdecken der eigenen Sexualität wünschte ich mir, weiblich zu sein. Ich hoffe, dass es jetzt nicht albern klingt, – ich denke, in dem Alter war das sicherlich okay – aber ich habe mir oft vorgestellt, es gäbe eine gute Fee, die mir einen Wunsch erfüllt und aus dem Jungen ein Mädchen macht. Doch leider kam die gute Fee natürlich nicht und die Aufklärung zu trans* war damals gefühlt nicht existent. Ich habe mich aber auch niemanden anvertraut. So blieb nur das Gefühl: ich bin nicht normal. Dies wurde mir dann auch immer im Kontakt mit anderen Kindern, bzw. Jungen, widergespiegelt: Ich wäre zu weich, zu zart, in den unterschiedlichsten Bezeichnungen und Beleidigungen.
Woran ich mich auch noch gut erinnere, und dies ist eher eine positive Erinnerung, ist ein Aufenthalt im Zeltlager der Falken. Dort gab es vor Ende des Ferienlagers den „Ball verkehrt“. Also Mädchen mussten sich Jungenklamotten anziehen und andersherum. Ich war eines der wenigen Kinder, das sein Kleid den ganzen Abend trug, auch wenn vorher schon erlaubt war, sich wieder umzuziehen.
Im Jugendalter bestimmten dann Depressionen über mein Leben, welche aber sicherlich nicht nur den Ursprung in der geschlechtlichen Identität hatten. Diese rückte dann auch „leider“ komplett in den Hintergrund. Ich war jahrelang ein emotionales Wrack, bis ich schließlich eine Therapie machte, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Kurz danach lernte ich meine Freund*in kennen, die mir, mehr noch als meine Therapeutin, half, meinem Leben wieder Sinn zu geben und dieses zu gestalten. Durch sie lernte ich nicht nur mich künstlerisch auszudrücken, sondern sie feierte und förderte auch meine feminine Seite. Das ging dann bei mir in ganz kleinen Schritten vonstatten. Erst traute ich mich regelmäßig bunten Nagellack zu tragen. Dann habe ich mich gelegentlich von ihr schminken lassen, erst nur für private Fotoshootings, dann auch, um gemeinsam feiern zu gehen. Irgendwann kam dann auch das Tragen von Kleidern hinzu. Dass dies alles lange dauerte, ist schlichtweg der Angst vor dieser Welt und den Menschen geschuldet. Ich wurde oft, hauptsächlich, wenn ich allein mit Bus und Bahn unterwegs war und mich „hübsch“ gemacht hatte, homo- und transphob beleidigt. Um Trigger zu vermeiden, spare ich mir hier Details. Zum Glück wurde ich nie handgreiflich angegangen, auch wenn es einige Male brenzlig wurde. Dies ist aber sicherlich meiner Statur von 1,90m Körpergröße und knapp 100kg Gewicht geschuldet. Zum Vergleich: früher wog ich noch 55kg. Aber Antidepressiva können einen nicht nur psychisch standhafter/standfester machen.
Mir wird immer wieder schmerzlich bewusst, in was für einer wunderbaren Welt wir leben könnten, wenn Menschen doch einfach mal andere Menschen voll und ganz akzeptieren könnten. Wenn niemand Angst vor Übergriffen haben müsste und sich kleiden und verhalten könnte, wie es beliebt. Es wäre doch so einfach und doch scheint es wie eine Utopie.
Ich möchte jetzt nochmal ganz konkret zur geschlechtlichen Identität kommen. Mittlerweile sehe ich mich nicht als trans*, im Sinne von „ich bin eine Frau im Körper eines Mannes“, weil ich nicht das Bestreben habe, tatsächlich als Frau wahrgenommen zu werden. Irgendwann im Laufe der letzten Jahre dachte ich, die Bezeichnung „Genderfluid“ würde zutreffen, da ich ja oft im Alltag männlich gelesen werde. Ich habe aber festgestellt, dass „gelesen werden“ und „sich fühlen“ doch einen Unterschied macht. Ich wechsele also nicht zwischen den Geschlechtern hin und her. Mittlerweile bin ich dann also bei „non-binary“ angekommen, was für mich bedeutet, sich keinem Geschlecht zugehörig zu fühlen. Und in der „Schublade“, so glaube ich, kann ich mich wohlfühlen.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf das Thema Definitionen eingehen und dies ist wirklich nur meine ganz persönliche Meinung, so wie das vorangehende meine ganz persönliche Geschichte ist: Wenn man „Transgender“ googelt und sich den Wikipedia-Eintrag durchliest, wird dies als Sammelbegriff genutzt und vieles, wie auch „Genderfluid“ oder „non-binary“, fällt darunter. Ich persönlich definiere „Trans*“ nach außen hin aber in diesem „schwarz-weiß Schema“, also „im falschen Körper geboren“. Dies tue ich aus dem Grund, dass ich der Meinung bin, dass dies die Definition der meisten Menschen außerhalb der Community ist. Und ja, irgendwie möchte ich es diesen Menschen einfacher machen. Wenn ich sagen würde, ich sei „trans*“, gäbe es ganz sicher Missverständnisse. So sage ich lieber gleich, ich bin „non-binary“ und erläutere dies dann nach dem kommenden „Hä, was ist das denn?“. Ich habe ja dann immer noch die Möglichkeit, daran anzuknüpfen und zu sagen, „dies fällt übrigens auch unter den Begriff Transgender“.
Es hat mir viel gegeben, diesen Text zu verfassen und ich hoffe Du hast ihn gerne gelesen und konntest vielleicht sogar daraus etwas für dich mitnehmen.
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